TeilnehmerInnen und AbsolventInnen des Pflichtschulabschlusses bei der VHS
Jährlich nehmen zahlreiche TeilnehmerInnen das Angebot den Pflichtschulabschluss nachzuholen wahr. Einige stellen sich hier nun vor.
Stefan
Stefan wurde das Gefühl, dass ihm in punkto Bildung etwas fehle, einfach nicht los. Zuerst versuchte der 24-Jährige die Abendmatura, erkannte aber rasch, dass es galt, vorher grundlegendes Wissen zu erwerben. Glücklicherweise ist ein Einstieg in den Pflichtschulabschluss-Unterricht sowohl im Herbst als auch Frühling möglich. So startete Stefan im Feber sein Bildungsprojekt und besucht jetzt Vorbereitungskurse für die Abschlussprüfungen.
„Ich bin ein bisserl aus meinem Tiefschlaf aufgewacht, hab gedacht, ich muss mir Qualifikationen aneignen. Das Lernen fällt mir heute viel leichter als damals in der Sonderschule. Ich lerne jetzt einfach anders; außerdem kann ich mich besser konzentrieren. Damals habe ich nicht einmal 20 Minuten geschafft. Ich bin redegewandter geworden und ich stottere nicht mehr. Mein Denken ist positiver. Ich bin jetzt Admin der Pflichtschulabschluss-WhatsApp-Gruppe, wo man sich über Hausübungen, Tests etc. austauscht. Mein Motto: Never ever give up!
Fabienne
„Vorher hat meine Mama oft genug auf mich eingeredet, aber ich habe mich nicht zwingen lassen. Es ist jetzt aus mir selbst gekommen, es hat ein Jahr gedauert und ich habe gemerkt, dass es ohne Abschluss halt nicht geht. Ich habe mich in den A… getreten und gesagt, dass ich es schaffe. Es lernt sich viel leichter hier, man wird nicht ausgelacht, die netten Trainer geben uns mehr Chancen und erklären so gut. In der Schule musst du sofort verstehen oder es zu Hause lernen, hier im Lehrgang helfen uns die Trainer, dass wir es auch wirklich können!“ Trotz des neunmonatigen täglichen Intensivkurses bleibt Fabienne (17) noch immer genügend Zeit für ihre Hobbys Zeichnen, Schwimmen und Pflege ihrer Freundschaften.
Joan
„Your dreams are valid“, ist Joan (30) überzeugt. Wenn man etwas träumt, fokussiere man es und arbeite daran. Joans derzeitiger Traum ist es, den Pflichtschulabschluss in der Tasche zu haben. Deshalb drückt die dreifache Mutter vier Mal wöchentlich abends die Schulbank. Das österreichische Pflichtschulzeugnis holt sie sich trotz ihres 12-jährigen Schulbesuchs in Kenia, um hier eine Lehre in einem handwerklich-technischen Beruf anzupacken.
Auch schon jetzt ist alleinerziehende Mutter umtriebig: Viele Kärntner Schülerinnen und Schüler haben die gesprächige junge Frau im Rahmen von Workshops kennengelernt, wo sie den Kindern Wissen zu Interkulturalität vermittelt. Ihren eigenen Kindern will sie mit ihrem Nachholen des Pflichtschulabschlusses mit auf den Weg geben, dass man nie zu alt zum Lernen ist und eine gute Bildung die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft darstellt. „Lernen ist auch für dich persönlich, du entwickelst dich dabei selbst weiter. Es ist nie zu spät und bringt nur Vorteile!“
Marco
Der sehr reif wirkende und höfliche junge Mann schulte im Jahr 2009 mit einem Zeugnis der mittlerweile aufgelösten Landes-Sondererziehungsschule Görtschach aus. Dieser Umstand war nicht unbedingt förderlich bei seiner anschließenden Suche nach einer Lehrstelle: Immer wieder runzelten die Chefs in spe die Stirn und fragten, was vorgefallen war, wieso er von der Hauptschule nach Görtschach wechseln musste, wieso er am System der Regelschule gescheitert ist. Er fand keine Stelle und durchlief verschiedene Schulungs- und Beschäftigungsmodelle des AMS. Schließlich wurde Marco klar, dass er für bessere Chancen am Arbeitsmarkt einen Pflichtschulabschluss und Führerschein benötigt. Aktiv wandte er sich deshalb an seinen AMS-Betreuer und suchte um einen Platz im einjährigen Volkshochschul-Lehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses an.
Im Jänner 2015 startete sein täglicher Unterricht in Villach und er war überrascht: „Es ist viel lässiger, weil die Lehrer sich enorm viel Zeit nehmen und etwas auch mehrmals erklären.“ Außerdem war der 22-Jährige erstaunt, wieviel er sich noch aus seiner vorherigen Schullaufbahn gemerkt hatte. Im Fach „Natur und Technik“ erzielte er eine besonders gute Note. Sein Interesse für diesen Bereich ist hoch, kein Wunder, ist sein liebstes Hobby doch der Modellbau. Ein Job in diesem Feld wäre sein Traum, aber er ist auch stark an Handwerk interessiert. Marco ist jetzt – zu Recht – stolz auf sich, denn er hat mittlerweile alle Prüfungen geschafft und hält seit Jänner 2016 ein Pflichtschulabschlusszeugnis. Gerade macht er seinen Führerschein und hofft, in einem Malerbetrieb in Maria Gail eine Lehre beginnen zu können. Marco resümiert: „Der Pflichtschulabschluss ist nicht nur für die Arbeit. Ich weiß jetzt für mich, dass ich etwas erreicht habe.“
Rosina
Rosina, eine Pensionistin aus Preitenegg im Lavanttal, nahm das Motto des Volkshochschul-Pflichtschulabschlusses ernst: Es ist nie zu spät. Zeitlebens bedauerte sie es, nur mit einem Entlassungszeugnis ausgeschult worden zu sein, weil zu Hause ihre Hilfe gebraucht wurde. Mit 62 Jahren drückte sie deshalb zur Verwunderung der Ortsgemeinschaft schließlich wieder die Schulbank. Lustigerweise eine Schulbank just im gleichen Klassenzimmer wie als Kind. Das Gebäude der Neuen Mittelschule St. Stefan, wo der Unterricht zum VHS-Pflichtschulabschluss stattfindet, war nämlich Ende der Fünziger Rosinas Volksschule! Und die Überraschung war am ersten Tag noch größer, als sich ihr ehemaliger Mitschüler, Josef Kurteu, als ihr Lehrer vorstellte!
Freilich kann Rosina ihren Pflichtschulabschluss nicht mehr beruflich verwerten, aber er bedeutet ihr persönlich sehr viel. Zusätzlich genoss sie in den Vorbereitungskursen die Anregung für ihren Geist und die internationale Klassengemeinschaft. Sie verbrachte außerdem manch schöne Stunde zu Hause mit ihrem Sohn Mario, wenn er ihr beim Englischbüffeln half. Englisch, der Gegenstand, woran sie vor über 50 Jahren gescheitert ist, hat es ihr angetan. So sehr, dass sie sich nach ihrem erfolgreichem Abschluss der Pflichtschule gleich nochmals zu einem VHS-Englischkurs angemeldet hat: „Heutzutage ist ja so viel in Englisch, zum Beispiel beim Einkaufen und in den Betriebsanleitungen.“ Auch vom VHS-Biologieunterricht schwärmt sie noch heute: „Wir haben uns auf den menschlichen Körper konzentriert. Er wurde so toll erklärt!“. Rückblickend hätte sie gerne längere Pausen gehabt, um in einem „Ratscher“ über ihre internationalen MitschülerInnen und ihre Herkunftsländer mehr zu lernen.
Rosina über den VHS-Pflichtschulabschluss: „Ich tät es jedem empfehlen. Auch wenn man denkt, das schaff ich nie, soll man es trotzdem probieren. Es ist ja noch so viel gespeichert im Kopf! Jeder soll machen, was er gerne tut. Ich bin immer mit so einer Freude zum Kurs gefahren. Wenn keine Schule war, ist mir was abgegangen. Mir hat es getaugt!“